Praxis für Homöopathie
Thomas Mickler
Heilpraktiker
Hardenbergstr. 2
D-45472 Mülheim an der Ruhr

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Hahnemann: Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen, nebst einigen Blicken auf die bisherigen (erschienen 1796 in Hufelands Journal)


Zusammenfassung der wichtigsten Textstellen.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Arbeit Hahnemanns wird heute oft als das Geburtsjahr der Homöopathie bezeichnet. Erstmals veröffentlicht er hier die Ergebnisse seiner jahrelangen Forschungen.


Bisherige Methoden, Arzneiwirkungen zu erforschen
Bisherige Methoden, Arzneien zu verordnen
Neue Wege zur Erforschung von Arzneimittelwirkungen
Vorschlag für ein neues Prinzip zur Verordnung von Arzneien


Bisherige Methoden, Arzneiwirkungen zu erforschen:

... Wo auch die Chemie nicht direkte die Heilkräfte angeben kann, thut sie ´s doch indirekte, wenn sie die aus Mischungen entstehende Unkräftigkeit vor sich wirksamer Arzneien, oder die Schädlichkeit der Vermischung vor sich unschuldiger Mittel anzeigt... .
... Doch es mag an diesen wenigen Beispielen genug seyn, die Ausschließung der Chemie von der Entdeckung der Heilkräfte der Arzneien zu widerlegen. ...
... Weit schlimmer haben diejenigen die Materia medica berathen, welche einen Weg zur Ausfindung der Heilkräfte in der Zumischung der unbekannten Arzneien zu dem aus der Ader gelassenen Blute suchten. ...
Selbst die Einspritzung der Arzneimittel in die Adern der Thiere ist aus eben dieser Ursache eine sehr heterogene und unsichre Methode. ... So wird dann aber wohl die Einflössung in den Mund der Thiere etwas Gewisses über ihre arzneilichen Wirkungen lehren? Bei weitem nicht! Wie sehr weicht nicht ihr Körper von dem unsrigen ab! Eine große Menge Krähenaugen verträgt ein Schwein ohne Schaden, und von 15 Gran sind schon Menschen gestorben. ...
... Da die erwähnten Erfoschungsquellen der Heilkräfte der Arzneien so leicht versiegten, so dachte der Systematiker der Arzneimittellehre auf andre, wie ihm dünkte, sicherer Art. Er suchte sie in den Arzneisubstanzen selbst auf, er wähnte da Winke zu finden, die ihn leiten sollten. Er bedachte aber nicht, daß die sinnlichen äussern Merkmale derselben oft sehr trüglich sind, so trüglich, als die Physiognomik bei Errathung der Herzensmeinungen. ...
... Vielleicht erlaubt aber die botanische Verwandschaft einen sichern Schluß auf die Aehnlichkeit der Wirkung! Sie erlaubt ihn eben so wenig, als viele Ausnahmen von entgegengesetzten oder doch sehr abweichenden Kräften in einer und derselben Pflanzenfamilie und in den meisten derselben es giebt. ...

... Es bleibt uns nichts, als die Erfahrung am menschlichen Körper übrig. Aber welche Erfahrung? Die ungefähre, oder die geflissentliche? ...
... Die meisten Tugenden der Arzneikörper sind, ich lege dieß demüthigende Geständnis ab, durch ungefähre, empirische Erfahrung entdeckt worden, durch Zufall, oft durch Nichtärzte zuerst bemerkt. ... Ich bin gar nicht willens, diesem Entdeckungswege der Arzneikräfte seinen hohen Werth abzusprechen; die Sache redet von selbst. Aber für uns giebt es dabei nichts zu thun; Zufall schließt allen Vorsatz, alle Selbstthätigkeit aus.

... so möchte es vor der Hand gar nicht nöthig seyn, den Arzneivorrath in der Zahl zu vermehren. Sehr wahrscheinlich lieget in den schon vorhandnen alle (oder doch beinahe alle) die Hülfe, die uns noch gebricht. ...

Bisherige Methoden zur Verordnung von Arzneien

Wenn ich mich nicht irre, so hat die praktische Arzneikunde gewöhnlich drei Wege eingeschlagen, um den Beschwerden des menschlichen Körpers Heilmittel anzupassen. ...

... Der erste Weg, die Grundursachen der Uebel hinwegzunehmen oder zu zerstören, war der erhabenste, den sie betreten konnte. Alles Dichten und Trachten der besten Aerzte in allen Jahrhunderten ging auf diesen, der Würde der Kunst angemessensten Zweck. Es blieb aber immer, um mich eines spagyrischen Ausdrucks zu bedienen, bei Partikularen; den großen Stein, die Kenntniß der Grundursachen aller Krankheiten, erlangten sie nie. ...

... Auf dem zweiten Wege suchten sie die vorhandnen Symptomen durch Arzneien zu unterdrücken, die eine gegenseitige Veränderung hervorbringen, z. B. Verstopfung des Leibes durch Abführungsmittel, – entzündetes Blut durch Aderlässe, Kälte, Salpeter, – Säure im Magen durch Alkalien, – Schmerzen durch Mohnsaft. ...
... Bei chronischen Krankheiten lindert sie nur anfänglich, in der Folge sind stärkere Gaben solcher Mittel nöthig, die die Hauptkrankheit nicht heben können, und so schaden sie um desto mehr, je länger sie in Ausübung gebracht werden, aus Gründen, die weiter unten vorkommen. ...
... Ich bitte meine Mitbrüder, diesen Weg (Contraria contrariis) bei chronischen, auch schon den eben ins Chronische ausartenden akuten Krankheiten zu verlassen; er ist der unrichtige, ein Holzweg im dunkeln Haine, der sich an Abgründen verliert. ...

... Doch ich brauche als Warner hier nicht allein zu stehen. Die bessern, einsichtsvollern und gewissenhaftern Aerzte haben in chronischen und ins Chronische ausartenden akuten Krankheiten von Zeit zu Zeit (auf einem dritten Wege) nach Mitteln gegriffen, die nicht die Symptomen vermänteln sollten, sondern die das Uebel aus dem Grund hüben, mit einem Worte, nach spezifischen Mitteln; das wünschenswertheste, löblichste Beginnen, was sich nur denken läßt. Sie versuchten so z. B. die Arnika in der Ruhr, und fanden sie in einigen Fällen spezifisch hülfreich.
Aber welcher Führer leitete sie, welche Gründe bestimmten sie, solche Mittel zu versuchen? Leider! nur Vorgang vom empirischen Hazardspiele, von Hausmittelpraxis, Fällen des Zufalls, wo man diese Substanzen von ungefähr bei dieser oder jener Krankheit hülfreich fand, ...

Neue Wege zur Erforschung von Arzneimittelwirkungen

Blüte des weißen Germers (Verat.)... Die Wirkungen der Heilmittel zu erforschen, um sie den Körperbeschwerden anzupassen, sollte man so wenig wie möglich sich auf den Zufall verlassen, sondern so rationell und geflissentlich zu Werke gehen als nur möglich. Wir haben gesehn, daß zu letzterm Behufe die Beihülfe der Chemie noch mangelhaft ist und mit Behutsamkeit zu Rathe gezogen werden muß ...

... Es bleibt uns nichts übrig, als die zu erforschenden Arzneien am menschlichen Körper selbst zu versuchen. Diese Nothwendigkeit sahe man zu allen Zeiten ein, aber man betrat gewöhnlich den falschen Weg, indem man sie blos, wie oben gedacht, empirisch und auf Gerathewohl gleich in Krankheiten anwendete. ...

... Der wahre Arzt, den die Vervollkommnung seiner Kunst am Herzen liegt, kann keine andern Nachrichten von Arzneien brauchen, als:
Erstens, welche reine Wirkung bringt eine jede vor sich in dieser und jener Gabe im gesunden menschlichen Körper hervor?
Zweitens, was lehren die Beobachtungen ihrer Wirkung in dieser oder jener, einfachen oder verwickelten Krankheit?
Den letztern Zweck erreichen zum Theil die praktischen Schriften der besten Beobachter aller Jahrhunderte, besonders der neuern Zeiten. In ihnen ist der bisher einzige Vorrath ächter Kenntniß der Kräfte der Arzneien in Krankheiten zerstreut enthalten, ...

Vorschlag für ein neues Prinzip zur Verordnung von Arzneien

... Weil es aber dann doch wohl noch an einem Schlüssel fehlen möchte, so bin ich hier vielleicht so glücklich, das Prinzip darzulegen, nach welchem man zu Werke gehen könnte, um zur Ausfüllung der Lücken in der Heilkunde und zu ihrer Vervollkommnung allmählig für jedes, vorzüglich chronisches Uebel ein passendes spezifisches ... Heilmittel aus dem bisher bekannten (und dem noch unbekannten) Arzneivorrathe nach Gründen heraus zu finden und nach Gründen anzupassen. Es beruht ungefähr auf Folgendem:

Jedes wirksame Arzneimittel erregt im menschlichen Körper eine Art von eigner Krankheit , eine desto eigenthümlichere, ausgezeichnetere und heftigere Krankheit, je wirksamer die Arznei ist. *)

*) Die wirksamsten, spezifische Krankheit erregenden, folglich hülfreichsten Arzneien nennt der Laie Gifte.

Man ahme der Natur nach, welche zuweilen eine chronische Krankheit durch eine andre hinzukommende heilt, und wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andre, möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande ist, und jene wird geheilet werden; Similia similibus. ...

... Dieser Satz hat, ich gestehe es, so sehr das Ansehn einer unfruchtbaren, analytischen, allgemeinen Formel, daß ich eilen muß, ihn synthetisch zu erläutern. Vorerst aber noch einige Erinnerungen. ...

... Nach diesen Vorerinnerungen gehe ich fort, meinen Grundsatz, daß man, um die wahren Heilkräfte einer Arznei für chronische Krankheiten auszufinden, auf die spezifische künstliche Krankheit sehen müsse, die sie im menschlichen Körper zu erregen pflegt, um sie dann einer sehr ähnlichen kränklichen Körperverfassung anzupassen, die gehoben werden soll durch Beispiele zu erläutern.

Auch der sehr ähnliche Satz, daß man, um gewisse, chronische Krankheiten gründlich zu heben, sich nach Arzneien umsehen müsse, die eine ähnliche, am besten sehr ähnliche, Krankheit im menschlichen Körper zu erregen pflegen – wird dadurch ins Licht gesetzt werden. ...


Kommentar:
Soweit der theoretische erste Teil des Artikels. Im zweiten Teil seines Artikels in der nächsten Ausgabe von Hufelands Journal versucht Hahnemann seine im ersten Teil vorgetragenen Thesen durch zahlreiche Beispiele zu belegen. So schildert er die Wirkungen damals verwendeter Arzneien auf Gesunde (bzw. Vergiftungen) und deren mögliche Verwendung nach den von ihm benannten Kriterium der Ähnlichkeit. Er bezieht sich auf zahlreiche Fälle aus der zeitgenössischen medizinischen Literatur und beruft sich auch auf eigene Erfahrungen und auf Versuche, in denen er Arzneien an sich selbst und anderen geprüft hatte. Auch hier weist er auf Mißstände in der damaligen Medizin hin, wie z. B. auf die durchaus häufige Überdosierung von Digitalis, auf die Verwechslung von Quecksilbervergiftungen mit der Syphilis usw. Er schildert auch einige Heilungen unter dem Gesichtspunkt der Ähnlichkeit.

©  Copyright: photo of Hahnemann - H.I.

 
   
 
  © Thomas Mickler zuletzt aktualisiert: 16.10.2001