Praxis für Homöopathie
Thomas Mickler
Heilpraktiker
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D-45473 Mülheim an der Ruhr

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Dr. Eugene B. Nash (1838-1917)
Heilung einer akuten Magen-Darm-Erkrankung mit Colchicum autumnale


Dr. med. E. B. Nash stellt hier den Wert subjektiver Empfindungen für die Wahl eines homöopathisches Arzneimittel dar und beschreibt seine erste eigene Erfahrung mit einer Hochpotenz (C 200), die er nur deshalb widerwillig einsetzte, weil ihm diese Arznei nicht in anderer Form zur Verfügung stand. Das Ergebnis überraschte ihn selbst und veranlaßte ihn zu weiteren Versuchen - mit positivem Ausgang.


... Doch ich fordere volle Anerkennung für den Wert jener subjektiv empfundenen Symptome und Modalitäten, die sich nicht erklären lassen. Tatsächlich bin ich ziemlich sicher, daß man sich auf die gut verifizierten subjektiven Symptome bei der Heilung unserer Patienten häufiger verlassen kann als auf sämtliche pathologischen Zustände, die wir kennen. Nun zu dem Symptom: "Der Geruch kochender Speisen erregt Übelkeit bis zur Ohnmacht." Um den Wert dieses Symptoms darzustellen, will ich einen Fall aus meiner eigenen Praxis anführen. Es war zugleich meine erste Erfahrung mit einer so hohen Potenz wie der 200. Die Patientin, eine 75jährige Frau, war plötzlich von einer Magenkrankheit befallen worden und hatte Blut in großen Mengen erbrochen. Dann folgten blutige Stühle, die zuerst profus waren, dann aber weniger und blutig-schleimig wurden. Es bestand starker Tenesmus und Schmerz in den Eingeweiden. Aconitum, Mercurius, Nux vomica, Ipecacuanha, Hamamelis und Sulfur wurden alle versucht, so gut wie ich sie zu dieser Zeit zu wählen verstand, doch es trat keine Besserung ein. Nachdem zwölf Tage vergangen waren, verschlimmerte sich der Zustand meiner Patientin rapide, und es sah mir so aus, als müsse sie sterben. Sie war so schwach geworden, daß sie den Kopf nicht vom Kopfkissen anheben konnte. Innerhalb von 24 Stunden wurden 65 Stühle, die im Bett abgegangen waren, gezählt. Die Schmerzen, die Zahl der Entleerungen und sämtliche anderen Symptome verschlimmerten sich von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang (dies ist ein zweites Charakteristikum von Colchicum).

Während der ganzen Krankheit hatte diese Patientin solche Übelkeit bis zur Ohnmacht vom Geruch kochender Speisen, daß die Türen zwischen Schlafzimmer und Küche - diese war zwei große Zimmer entfernt - ständig geschlossen sein mußten. Ich war damals nicht so vertraut mit der Arzneimittellehre wie heute, und obgleich ich das Symptom nicht übersehen hatte, wußte ich doch kein Mittel, das gerade dieses hatte. Aber ich hatte Lippes "Handbuch der Materia medica" in meinem Wagen. Ich holte es und setzte mich neben das Bett, entschlossen, dieses eigentümliche und hartnäckige Symptom zu finden, koste es was es wolle. Ich begann mit Aconitum und sah mir die Magensymptome aller Mittel an. Soweit ich mich erinnern konnte war es das erste Mal, daß ich es je bemerkte: da stand es in klarem Englisch unter Colchicum. Danach sah ich in meiner Medizintasche nach diesem Mittel. Es war nicht da, und ich war vier Meilen von zu Hause entfernt. Ich hatte einen Karton mit Dunhams 200. Potenzen unter meinem Wagensitz, welcher schon über ein Jahr dort lag. Ich hatte ihn mangels Vertrauen zu Hochpotenzen noch nie benutzt. Für den Moment konnte ich jedoch nichts Besseres tun, und so löste ich einige Kügelchen Colchicum in einem halben Glas kalten Wassers und ordnete an, nach jeder Stuhlentleerung einen Teelöffel voll davon zu geben. Auf dem Heimweg hielt ich mein Pferd zwei- oder dreimal an, um umzukehren und der armen, leidenden Frau irgendeine andere Arznei zu geben. Ich fühlte mich schuldig, sagte mir aber: es steht in der Materia medica von Lippe, und das sind Carrol Dunhams Potenzen, und es gibt eine klare Indikation für die Verordnung, und die übrigen Symptome kontraindizieren es nicht. Und so kam ich nach Hause.

Doch am nächsten Morgen fuhr ich früh hin, um meine Übereilung von gestern wieder gutzumachen (wenn die Patientin nicht gestorben war). Man stelle sich meine Überraschung vor, als die Patientin bei meinem Eintreten in das Krankenzimmer ihren Kopf langsam auf dem Kissen wendete und mit einem Lächeln "Guten Morgen, Doktor" sagte - ich war die letzten Morgen mit einem Stöhnen begrüßt worden. Ich fiel dann fast selbst in Ohnmacht und ließ mich in einen Stuhl neben dem Bett fallen und bemerkte: "Sie fühlen sich besser." "Oh ja, Doktor." "Wieviel haben Sie von der letzten Arznei eingenommen?" "Zwei Gaben." "Was?" "Zwei Gaben. Ich hatte nur noch zweimal Stuhlgang, nachdem Sie weggegangen waren." "Haben Sie nicht noch Schmerzen?" "Die Schmerzen ließen sofort nach, und abgesehen von der Schwäche fühle ich mich wohl." Sie nahm keine Arznei mehr, genas schnell und war während der folgenden fünf Jahre vollkommen gesund, bis sie dann im Alter von 80 Jahren starb. Ich kam niemals über diese Überraschung hinweg. Gegen meinen Willen überzeugt, aber immer noch nicht ganz damit einverstanden.

Nun fing ich an, in vollem Ernst Versuche mit der 200. Potenz zu machen. Ich habe seitdem zahlreiche Fälle von Herbstruhr auf dieselbe Indikation hin mit diesem Mittel in derselben Potenz geheilt. Ich habe auch einen sehr schweren Fall von Typhlitis (jetzt Appendizitis genannt, die so häufig operiert wird mit mehr Todesfällen als je zuvor, ehe die Operation populär wurde) auf dasselbe Symptom hin, das in diesem Fall sehr deutlich vorhanden war, geheilt. Ein schwerer Fall von Brightscher Krankheit* wurde ebenfalls damit geheilt. Rheuma, Gicht und Wassersucht wurden geheilt, wenn dieses Symptom vorhanden war. Ich habe meine Erfahrungen mit diesem Mittel deshalb so ausführlich dargestellt, um damit drei Dinge zu beweisen:

1. daß wir uns nicht von Vorurteilen beeinflussen lassen sollten.
2. daß subjektive Symptome von großem Wert sind.
3. daß die 200. Potenzen eine Wirkung haben und heilen können.


Kurzglossar

Brightsche Krankheit: Nicht genau definierter Begriff, der eine akute oder chronische Entzündung der Niere beschreiben kann, auch eine degenerative Nierenerkrankung.
Der deutsche Name der Pflanze Colchicum autumnale ist "Herbstzeitlose".
In einer C200 (oder 200. Potenz) - das ist eine sog. Hochpotenz - ist sicher keine Materie mehr enthalten. Näheres zur Potenzierung siehe FAQ.


Quelle:
E. B. Nash, Leaders in Homoeopathic Therapeutics, 1898.
Die "Leitsymptome in der homöopathischen Therapie" gibt es seit 1959 in deutscher Übersetzung beim Haug Verlag.

© 2001 Copyright Th. Mickler

 
   
 
  © Thomas Mickler zuletzt aktualisiert: 12.10.2001